Interview I: Helmut Höge / Neues Lotes Folum
Der Macher des nur drei Ausgaben anhaltenden Publikations-Experiments ist Helmut Höge. An deutschen Universitäten werden inzwischen ganze Seminare über den Mann gegeben. Sein Brötchengeber ist die tageszeitung. Dort tritt er vor allem mit seinem Blog in die Wahrnehmung. Erst neulich zeigte er sich aber wieder für eine Buchveröffentlichung verantwortlich. Das Glühbirnenbuch erschien im März beim Lesethek Verlag in Wien und versammelt Texte von Thomas Pynchon, Helmut Goetz und Wladimir Kaminer, den Höge seit seinen literarischen Anfängen förderte.
Gefragt und beantwortet wurde am 10. August 2008 auf der Feuertreppe des taz-Gebäudes, wo sich die Belegschaft gerne mal zum rauchen zurückzieht. Wie gesagt: das Interview ist alt und der Eine oder Andere wird angeödet sein. Doch der geneigte Leser bekommt hier ein kleines Stück der Geschichte bundesdeutscher Untergrundpresse erzählt.
Wie kam es zum Neuen Loten Folum?
1972 bin ich von Berlin zurück nach Bremen gezogen und habe dort an der Uni studiert, was mir aber überhaupt nicht gefiel.
Was hast du studiert?
Sozialwissenschaften…ich wohnte in einer Erdgeschosswohnung, Blick auf den Vorgarten und zu einer Straßenlaterne. Ab und zu habe ich mal LSD genommen und irgendwann angefangen mir mal so Notizen zu machen. Da dachte ich mir, man könnte ja eine Zeitschrift machen. Die ist dann immer dicker geworden in meinem Kopf und im Ordner. Ich habe dans so als Nullpunkt begriffen, um noch mal wieder alles von vorne zu denken.
Es gab schon ein Neues Rotes Forum. Die Zeitschrift hieß erst Rotes Forum, wurde dann aber in Heidelberg verboten und hat sich als Neues Rotes Forum neu gegründet. Das war damals auch wieder fast am Eingehen und ich habe dann den Namen abgewandelt. L und R; jede Sprache hat Zeichen die sie nicht unterscheiden kann. Im chinesischen ist das halt L und R. Irgendwann habe ich dann eine paar Leute angehauen etwas zu schreiben.
Die Bildergeschichte hat mal jemand aus Paris mitgebracht Die wurde dann erst später als Übersetzung im Kramer Verlag veröffentlicht. Soweit ich mich erinnern kann ist auch eine Übersetzung von Foucaults „Theatrum Philosphicum“ drin oder das Heft wurde zu dick und der Text ist wieder rausgefallen. Ich weiß das gar nicht mehr.
Ich habe den meinen Entwurf einfach geschickt und dann kam die Verlegerin nach Bremen. Dann haben wir ein bisschen geredet und das Heft wurde gemacht.
Wenn ich mich richtig erinnere bekam ich auch Unterstützung aus dem Umfeld des Göttinger Mescaleros. Da gab es damals durch den Buback-Nachruf einen ziemlichen Hype. Sie sprachen nach seiner Ermordung durch die RAF von „klammheimlicher Freude“, was einige Wellen schlug. Einer von denen ist daraufhin zurück nach Bremen gezogen. Und der hat mir Geld geliehen. Ich weiß nicht, woher er das hatte. So war das auch mit dem kleinen Verlag kein Problem, weil das Heft ja schon teilfinanziert war.
Und wie kam es dann zu den Folgeausgaben?
Irgendwann hatte ich wieder Interesse und schon etwas gemacht, was dann aber nicht erschienen ist. Dann bin ich mit dem Pferd in die Landwirtschaft gegangen und dann haben ich es mit einem Bremer Verleger, den ich schon kannte eine neue Ausgabe gemacht. Jimmy, hieß der. Der hatte da einfach Lust drauf und das Risiko auf sich genommen. Wir wussten ja beide wie sich so etwas verkauft und das es eine Weile braucht.
Warum war nach Ausgabe 2 & 4 Schluß?
Erstens gab es den Impuls Verlag nicht mehr, zweitens bot sich dann Rotbuch Verlag an das Pflasterstrand-Buch zu veröffentlichen. Dort hatte ich inzwischen verstärkt gearbeitet. Dann ging es mit dem Vogelsbergtaz und dann kam ’89 und das war dann wieder ein ganz anderer Film. Ich bin noch mal in die LPG gegangen und habe Betriebszeitung für große Ost-Firmen wie BAE rausgebracht.
Was hast du vor dem NLF so publiziert?
Da gab es ganz viel Untergrund Zeitungen. 100 Blumen in Berlin und in Bremen die Lila Eule/Rosa Eule. Ende der 60er / Anfang der 70er habe ich schon viele kleine Sachen rausgebracht.
Wie lief das mit dem Vertrieb eigentlich. Wie wurde das verkauft?
Darum habe ich mich nicht gekümmert. Ich hab‘ das einfach gemacht. Das war ja auch so etwas Handwerkliches. Das wäre so als würde man von einem Handwerker verlangen, dass er auch noch seine Stühle verkauft. Ich habe so mit Kleber und Schere Bogen für Bogen fertiggemacht. Schön die Schreibmaschinenseiten ausschneiden und mit diesem Farbband gearbeitet womit man so Druckvorlagen machen kann. So habe ich dann vor mich hingefummelt.
Und für dich war es dann fertig als du die Arbeit dem Verlag gegeben hast, oder?
Ich hatte schon mit denen zu tun, aber ich habe mich nicht um diese Vertriebssachen gekümmert. Da gab es dann diese linken Buchläden und die nahmen dir dann von jeder Neuerscheinung drei oder fünf Stück ab. Die Anarcho-Verlage sind auch nicht so geschäftstüchtig, deswegen sind die ja immer so klein, krepeln vor sich hin oder gehen ein. Guck dir Basisdruck Verlag an wo dieser ernsthafte Rechenschaftsbericht der Betriebsräteinitiative von mir erschienen ist, Berliner Ökonomie. Die kümmern sich überhaupt nicht um den Vertrieb. Die haben nur Interesse am Büchermachen, am Lesen und am Diskutieren. Ich habe für Berliner Ökonomie von fünf Seiten Geld eingeholt. Von der PDS, wasweißich. Alles Spenden für Basisdruck.
Was hat das eigentlich mit der Necrophiliacs Liberation Front auf sich?
Für die 100 Blumen in Berlin haben wir ab und zu Manifeste für die Necrophiliacs Liberation Front abgedruckt. Also nekrophile Manifeste. Das hat die Leute immer sehr aufgeregt. Das man mit Leichen vögeln soll, das fanden die nicht witzig. Beim Kneipenverkauf unserer Hefte gab’s ja sofort ein Feedback. Damals in West-Berlin gab es ja höchstens 20 Lokalitäten, wo man so etwas verkaufen konnte.
Der Hintergrund war, dass sich damals, vor allem in Amerika, überall Liberation Fronts bildeten: Women Liberations Front, Gay Liberation Front, Black Liberation Front, Indian Liberation Movement. Ich bin dann quasi dabei geblieben. Nekrophilie hat mit mir aber höchstens metaphorisch etwas zu tun. So das am Ende einer Revolte alles wieder in so eine zombiehafte Starre fällt. Konradin Leiner hat daraus ja eine ganze Zombologie entwickelt.
Es macht halt Spass sich Namen auszudenken. Das war halt auch sehr kollektivistisch gedacht. Dass man solch zu Wort meldet und auch dazu steht, aber das halt aus einer kollektiven Bewegung hervorkommt. Etwas wo es nicht wichtig ist, wer es gesagt hat, sondern wo es wichtig ist, dass es gesagt wird. Das war die Überlegung. Das hat auch nichts mit dem Autoren-Text-Verhältnis zu tun, also das man bestimmte Texte unter einem Autor versammelt und Copyright-Rechte abklärt. Das hat damit gar nichts zu tun. Wenn sich Neues Lotes Folum saugut verkauft hätte, hätte ich auch Geld gekriegt … habe ich ja auch. Jimmy hat mich mal zum Essen eingeladen … wir waren aber eh immer zusammen. Es war halt nie ein Angestelltenverhältnis, sondern nur zwei Kumpels die etwas gemeinsam machen.
Gerade in der ersten Ausgabe ist es – wie ich finde – sehr schwierig durch diesen Textteppich zu finden und Konkretes raus zu ziehen.
Ich war da sehr in einem Jargon drin. Der war so ein bisschen das Gegenhalten zu diesen ganze maoistischen Jargons. Es ging gegen die Phrasendrescherei, aber war selber eine Phrasendrescherei. Später bin ich dann langsam wieder auf den Boden zurück gekommen und habe wieder mehr beschrieben, was auch immer einfach ist.
Was ist eigentlich deine Lieblingsgeschichte aus dem Neuen Loten Folum? Ich finde ja dein Reisetagebuch unschlagbar, in dem du deine Reise durch Deutschland beschreibst. Wo du ein Pferd dabei hast, was du aber nie reitest. Und die Reise fällt ja genau in den deutschen Herbst.
Damals sind mehrere Leute losgegangen. Susanne Klippel ist mit einem VW-Bus losgefahren und Werner Pieper ist zu Fuß gegangen. Der war dann in irgendeinem Kino in Süddeutschland und die waren dort alle so faschistisch, dass er die Reise abgebrochen hat. Ich habe das gar nicht so mitgekriegt. Im Gegenteil, weil die Bauern waren ja ganz nett zu mir. Was die daherredeten, habe ich nicht so schwer gewichtet. Ich habe mehr gewichtet wie sie mit mir umgehen, wie die arbeiten oder wie wir zusammen arbeiten und habe möglichst vermieden über Themen zu reden, wovon die gar keine Ahnung haben. Ich will die jetzt nicht für doof erklären. Ein bisschen pflege ich aber schon den Gedanken, dass der Bauer hauptsächlich genau so kompetent ist soweit seine Ländereien reichen.
Warst du für die ein langhaariger Gammler?
Ich hatte schon vorher ein Jahr bei einem Bauern im Nachbardorf gearbeitet und ein gewisses Selbstvertrauen die Sachen anzupacken. Die merkwürdige Erfahrung war, dass sie erstmal nur am Pferd interessiert waren, also wurde das Pferd für mich zu einem trojanischen Pferd, das mir den Entree verschafft hat. Eine ähnliche Erfahrung hat ein Zeit-Journalist gemacht. Er hatte sich einen Hund aus dem Asyl geholt und ist dann ohne Geld durch Deutschland gegangen. Der Hund war dann immer der Auslöser für die Hilfsbereitschaft. Bei mir war es dann aber auch die Sache, dass ich mit Bauern zu tun hatte und Bauern sind verhinderte Pferdeliebhaber. Einer hat mir in seinem Keller ganz stolz seine Bar gezeigt. Die Sitze aus Pferdesätteln und Geschirr an der Wand.
War ja eigentlich eine bescheuerte Jahreszeit, die du zum Losgehen gewählt hast. So im Herbst…
Hast Recht. Ich habe halt weniger bei der Ernte geholfen, sondern bei Umbauten: Ställe erweitert, Güllegruben neu gestrichen.
An einer Stelle in deinem Reisetagebuch, ich glaube das ist ein Tag nachdem die Häftlinge von Stammheim sich selbst getötet hatten, gibt es ja eine bittere Stelle in der du schreibst, dass du gerne auch deutsche Richter und Polizisten umknallen würdest.
So Hassfantasien. Hab‘ ich immer noch. Meine Grundhaltung ist aber eher, dass man nicht allzu verbittert irgendwelche Sachen angehen sollte. Das hindert mich aber nicht daran Hass zu haben.
Danke Helmut.