TOTAL FILM #260 – SUMMER 2017
"It all becomes about the trees, not the wood. It's all about the detail."
Was?
Total Film, seit 1997 auf dem Markt, ist die augenzwinkernde und zugleich anspruchsvolle Alternative zum bekanntesten britischen Filmmagazin Empire.
Auflage
Im Februar 2016 lag die vertriebene Auflage bei knapp über 56.000 Exemplaren.
Erwerbsgeschichte & Preis
Es gibt Straßenzüge in Berlin, wo man in jedem zweiten Geschäft Nischentitel wie 032c oder Das Wetter kaufen kann. Hingegen für Total Film muss man eine sehr gut sortierte Bahnhofsbuchhandlung finden, in der zwei oder drei Hefte in die Borten mit der internationalen Presse geklemmt sind. Solche sehr gut sortieren Bahnhofsbuchhandlungen kann man auch in der Hauptstadt an einer Hand abzählen. Wenn man die Zeitschrift gefunden hat, muss man noch dazu bereit sein, den zweistelligen Betrag für die Importware zu zahlen.
Inhalt
Diesen Beschaffungsaufwand rechtfertigt ein besonderer Inhalt. Das war in diesem Fall das erste große Feature über Christopher Nolans Film ‚Dunkirk‘, der die Evakuierung des Britischen Expeditionskorps aus der von der Wehrmacht eingekreisten Küstenstadt Dünkirchen im Frühling 1940 zeigt. Einen Monat vor der Premiere bietet Total Film eine Making-Of Reportage inkl. Treffen mit dem Regisseur, sowie kurze Interviews mit zwei Hauptdarstellern.
Vermutete Zielgruppe
Spätestens nach der Lektüre prüft der Nolan-Fan den besten Saal (IMAX oder 70mm) für eine Vorführung natürlich im Originalton. Das frühe Feature entfacht die Neugier, die dann im Zuge der darauf folgenden angelsächsischen Jubelkritiken (mit Ausnahme vom New Yorker) in einem Gefühl zwischen Ungeduld und Ermattung endet. Nur verstärkt wird dieses Gefühl durch die Lektüre des deutschen Feuilletons, der mit dem ihm ganz eigenen Skeptizismus gegenüber großen amerikanischen Filmproduktionen reagiert.
Gina Thomas (Londoner Feuilletonkorrespondentin in der Frankfurter Allgemeinen) sieht in ‚Dunkirk‘ den geeigneten Film für den neuen britischen Isolationismus:
„Für die Brexit-Kampagne hat die berühmte, wenige Tage nach Dünkirchen veröffentlichte Karikatur ‚Very well, alone‘ mit dem heroischen englischen Soldaten, der vor aufgewühltem Meer auf dem Felsen steht und den feindlichen Fliegern mit der Faust droht, denn auch beinahe emblematischen Charakter.“
Noch härter urteilt Oliver Kaever auf Zeit Online: Es ließe im neuem Film von Christopher Nolan nichts erkennen, was den Regisseur in die Klasse von beispielsweise Stanley Kubrick oder Alfred Hitchcock heben würde. Viel eher erhebe ‚Dunkirk‘ das Leiden zum Kriegsgedenken im nationalen Interesse. In der Cinema – einer deutschen Entsprechung von Total Film am nächsten, aber weit weniger gut – wird das Fazit zu Dunkirk in Beamtendeutsch à la Stiftung-Warentest gezogen: „Visuell überwältigender Kriegsfilm, der seine Gefühlsleere durch erzählerische Intensität ausgleicht“.
Christian Schröder im Tagesspiegel ist die Annäherung an ‚Dunkirk‘ in einem Wort geglückt. Angesichts der Bildkraft, dem Umgang mit erzählter Zeit, dem Ensemble und dessen sprachlicher Reduzierung kommt seine Verwendung des Begriffs „Filmfresko“ dem Kinoerlebnis wohl näher als die Entzifferungen seiner Kollegen, geschweige denn Marketingfloskeln wie „Survival Story“ (Nolan) oder „Historischer Actionfilm“ (UCI Kinowelt) oder der Genrebegriff Antikriegsfilm.
Besondere Erwähnung für heftiges Spoilern gibt es für Hans-Georg Rodek – ehemaliger Vorstandssprecher des Verbandes der deutschen Filmkritik und Filmredakteur der Welt – sowie den Zeit-Feuilletonredakteur Thomas E. Schmidt. Beide verraten in ihren Artikeln unnötigerweise, was am Ende mit wichtigen Protagonisten passiert.
Verdikt
Die Rezension der Total Film Chefredakteurin Jane Crowthers bleibt entspannt, wenn auch im Rahmen angelsächsischer Bestnoten: „Es ist ein Film für Batman-Fans, Experten des 2. Weltkriegs und die Academy gleichermaßen.“
Sie hält sich damit an die redaktionellen Grundsätze, die sie in einem Interview mit dem Film-Blog Let’s Start With This One … verriet: „Wir reden nicht von der hohen Kanzel auf unsere Leser herab – wir führen ein Gespräch. An den coolen, eigenartigen und herausfordernden Filmen sind wir genauso interessiert wie an den Tentpole Veröffentlichungen, mit denen die Studios ihre Haupteinnahmen zu erzielen versuchen.“