Jugend – 1900 · 8. Januar, V. Jahrgang · NR. 2
„Riesenjubel jetzt allgemein:
Buren Briten verhauen ...
Stimme ja völlig mit überein
Beefsteaks nie können verdauen“
Was?
„ … Jugend ist Daseinsfreude, Genußfähigkeit, Hoffnung und Liebe, Glaube an die Menschen, Jugend ist Leben, Jugend ist Farbe, ist Form und Licht … “, so das Vorwort in der Erstausgabe vom 1. Januar 1896. Vom Namen der Zeitschrift leitet sich auch der Begriff Jugendstil ab – ein bestimmter Bautyp dessen florale Formgebung in unterschiedlichen Ausprägungen und Sprachräumen auch als Art Nouveau oder Secessionstil bekannt wurde.
Um Architektur geht es in der Zeitschrift Jugend weniger. Alltagsbeobachtungen und sanft spöttelnde Kommentierung der Weltlage gepaart mit einer gehörigen Portion Kunstsinn sind eher die Kernelemente des Wochenblatts.
Vermutete Zielgruppe
Die Gründer Fritz von Ostini und Georg Hirth arbeiteten zuvor für die liberale Münchner Neueste Nachrichten. Sie hingen keiner besonders progressiven oder revolutionären politischen Bewegung an. In ihrer eigenen Publikation übten sie keine Fundamentalkritik an bestehenden Verhältnissen, artikulierten höchstens ihre Skepsis am Einfluss der Römisch-katholischen Kirche.
Herausgeber Hirth verstarb 1916. Die neue Redaktion gerierte sich in der jungen Weimarer Republik zunehemend reaktionär. In den 1920er Jahren gab es eine Renaissance. Trotz begnadeter Autoren wie Erich Kästner und Kurt Tucholsky konnte jedoch die Jugend nicht an ihren frühen Kultstatus anknüpfen.
Titel & Layout & Reklame
Ein frühes Plakat verdeutlicht die Ausnahmeerscheinung der Zeitschrift zur Jahrhundertwende: „Jede Nummer erscheint mit einem neuen farbigen Titelblatt“. Inspiriert von amerikanischen Zeitschriften sah Hirth im aufwändigen Umschlagbild die beste Werbung. „Es waren die farbigen Titelblätter, die jedes Heft zu einem kleinen Plakat machten in einem Zeitungs- und Zeitschriftenangebot, das die Farbe noch kaum kannte.“, so der Kunsthistoriker Heinz Spielmann.
Große Künstler und No-Names arbeiteten gleichberechtigt an der Gestaltung. Wiederkehrend waren die Werke von Arnold Böcklin zu sehen, mit dem Hirth befreundet war. Doch auch sozialkritische Graphiken von Käthe Kollwitz und Adolph von Menzel fanden ihren Platz in der Zeitschrift; genauso wie Stimmungsbilder vom Brandenburg-Maler Walter Leistikow und dem französischen Illustrator Gustave Henri Josssot oder die Witzbilder von Wilhelm Busch und Heinrich Zille. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte man Maler wie George Grosz und Max Beckmann gewinnen.
Nicht nur die Titelblätter waren für den damaligen Standard von hoher grafischer Qualität, sondern auch die Vignetten, Zierleisten und das an Abonnenten versendete Vorsatzpapier für die Jahresbände. Selbst die Anzeigen – immerhin ein Viertel jeder Ausgabe – sind trotz Ihrer zumeist mikroskopischen Größe schon eigene Kunstwerke.
Inhalt
Kein anderes Land wurde in der Jugend so oft aufs Korn genommen wie England.
1900 schien Großbritanien gefährdet in seiner globalen Vormachtstellung – ein Trend der sich auch in den kommenden Jahrzehnten fortsetzte. Obwohl im Besitz der stärksten Flottenmacht der Welt und durch Indien mit einem enormen Absatzmarkt verbunden, verlor Großbritannien zwischen 1870 und 1880 die Führung in der industriellen Produktion an die USA. Gleichzeitig stagnierten alte Industrien wie Textil, Eisen und Kohle.
Als militärischer Prüfstein des Edwardischen Zeitalters gilt der Burenkrieg in Südafrika. Auslöser waren Goldfunde in der nordöstlichen Transvaal-Provinz. Sie ließen das britische Interesse an einem Vereinigten Südafrika unter Kontrolle des Empires genauso wachsen wie den Unabhängigkeitswillen der dort ansässigen holländischstämmigen Buren.
Anders als vorangegangene „Little Wars“ in den Kolonien (z.B. Niederschlagung des Boxeraufstandes in China oder der Revolten in Uganda und Rhodesien) erforderte der Burenkrieg erstmals seit den Konföderationskriegen gegen Napoleon wieder eine Massenmobilisierung. Diese setzte Ende 1899 ein– nach drei für England schmächliche Niederlagen gegen Burische Truppen bei Stormberg und Magersfontein, sowie in der Provinz Natal.
Hämisch kommentiert man auch in dieser Ausgabe der Jugend die Fehler und den miserablen Zustand der britischen Armee im letztendlich siegreichen, aber überaus blutigen, aufseiten des Commonwealth „völkerrechtlich völlig unhaltbaren Konflikt“ (Christoph Schubert-Weller).
Verdikt
Im Deutschen Reich und an dessen Grenzen würde man in den kommenden Jahrzehnten ähnliches und deutlich Schlimmeres erleben. Doch dafür kann die Jugend natürlich nichts, auch wenn ihrerseits deutsche Kriege oft genug Zuspruch fanden. Letztendlich kam sie selbst unter die Räder der Geschichte. 1940 erwirkte die Reichspressekammer die Einstellung die Zeitschrift, der leitende Redakteur Arnold Weiss-Rüthel wurde ins Konzentrationslager Sachsenhausen gesperrt. Ende. Kein Revival.