HÖR ZU! – 1949, NUMMER 10, Woche vom 27. Februar bis 05. März
„Das Tier […] steht fest und unbewußt sicher im Kosmos; widerspruchslos ruht es als Kreatur im Sein.“
Was?
Die Rundfunkzeitung Hör Zu! wird 1946 von Axel Springer unter Lizenz der britischen Militärregierung in Hamburg gegründet und dann in die redaktionelle Betreuung des Journalisten Eduard Rhein gegeben. In unterhaltender und dezidiert unpolitischer Ausrichtung konzentrieren sich Rhein und seine MitarbeiterInnen auf die Dokumentation des Rundfunkprogramms sowie die Vermittlung traditioneller Werte.
Die Wochenzeitschrift folgt darin der Re-Education der Alliierten, gibt sich aber stets heiter und optimistisch, erbaulich, informativ und unverfänglich. Neben den obligatorischen Programmbeschreibungen liefert Hör Zu! Rätsel und Witze, Informationen über Rundfunktechnik und Portraits von Rundfunkschaffenden in Rubriken wie „Den möchte ich sehen“ oder „Wo sie blieben und was sie trieben“.
Vor allem im Zuge der Neuausrichtung der Zeitung ab Herbst 1949 nimmt die Wertvermittlung noch einmal merklich zu. Im Zentrum des gesellschaftlichen Auftrags der Zeitschrift steht kennzeichnend für die 1950er-Jahre das christliche Idealkonstrukt ,Familie‘ mit seinen Eckpfeilern Harmonie, Behaglichkeit, Sicherheit und Produktivität. Fortan wird Eduard Rhein die LeserInnen der Zeitung als ,Hör Zu!-Familie‘ adressieren: Auf zahlreichen Seiten bietet die Zeitschrift alltagspraktische Tipps, Hilfe verschiedener Art und die Möglichkeit der Beratung an, am bekanntesten in der von Walther von Hollander geleiteten Rubrik „Fragen Sie Frau Irene“.
Abgerundet wird die Leserbindung durch kluges Branding. An seiner Spitze steht der Zeitungsigel Mecki, Signum der 1950er-Jahre, Namensgeber für einen Haarschnitt, Comic-Protagonist und bieder-gemütlicher Modellleser, in dem sich die ,Hör Zu!-Familie‘ wiederfinden soll. Nahbarkeit ist das Schlüsselwort dieses Presseerfolgs, der Kritiker dazu veranlasst hat, der Hör Zu! den Beinamen ,neue Gartenlaube‘ zu geben. Damit gerät sie in das Umfeld einer der größten bürgerlichen deutschen Familienzeitschriften des 19. Jahrhunderts.
Die Hör Zu! entwickelt sich zeitweilig zur auflagenstärksten Illustrierten Europas. Es war „eines der besten Geschäfte, die Springer je gemacht hat.“, so Hans-Peter Schwarz in seiner Biografie des Herausgebers. „Schon im zweien Quartal 1947 lag die Druckauflage von Hör Zu! bei 250.000 Exemplaren. Durch die Währungsreform wurde das Wachstum nicht gebremst, sondern beschleunigt, jetzt schlugen auch die Annoncen zu Buch. Ende 1949 war bereits eine Auflage von 530.000 erreicht.“ Noch einmal zehn Jahre später verkaufen sich wöchentlich 3 Millionen Kopien.
Titel
Die Titelfotografie stammt nicht etwa aus dem Filmklassiker ‚Lassie Come Home‘ von 1943 (MGM, R.: Fred M. Wilcox). Das Bild zeigt die US-amerikanische Schauspielerin Marsha Hunt bei einem Publicity Shooting für Paramount Pictures. Der Collie ist dennoch kein Zufall. Lassie war zu dieser Zeit schon bekannt, in Deutschland kam der Film unter dem Titel ‚Heimweh‘ in die Kinos.
In geradezu ostentativer Form inszeniert der Publicity Shot freundschaftliche Verbundenheit. Über die Blickachse, die Lippenfarbe und Frisur, die Stellung der rechten Hand und die Maniküre bis zur irritierenden Quaste sowie dem linken Arm, der den Collie umschließt und den sprechenden Hintergrund für die Ankündigung des Sendungsthemas liefert, analogisiert die Fotografie die Abgebildeten auf bestmögliche Weise. Anthropomorphisierung bzw. Animalisierung unterstreichen die Nähe zwischen ,Frauchen‘ und Collie. Gerade vor dem Hintergrund der Sendereihe muss man das inszenierte Verhältnis zwischen Frau und Tier als ein gegendertes begreifen.
Dass das Haustier beinahe auf dem Schoß der Schauspielerin sitzt und dadurch als Vertrauter sowie potentielles Erziehungsmittel in Position gebracht wird, ist ein Effekt der fotografischen Inszenierung im Kontext des Hefts. Zusätzlich zu dieser Verknüpfung von Frau, Tier und Erziehung / Haushalt weht nicht zuletzt ein Hauch von Hollywood durch die deutschen Wohnstuben. Die Bildunterschrift „Foto: Paramount“ sowie Hunts Aufmachung, von der Quaste einmal abgesehen, zeigen es an.
Titelbilder wie dieses gehören – bis heute – zum Standardrepertoire der Hör Zu! Filmschauspieler sowie Archivfotografien von putzigen Kleinkindern und Haustieren wechseln sich auf den Frontseiten der Zeitung ab oder werden zur Affektsteigerung direkt miteinander kombiniert. Mit geringem oder keinem Bezug zum Heftinhalt verfügen die Bilder über einen emotionalisierenden Eigenwert.
Spontane Assoziationen wie ,niedlich‘, ,witzig‘, ,schön‘ etc. sind neben dem Programmhinweis der primäre Zweck der Bildwahl, die ganz im Dienst der allgemeinen Linie des Blatts steht.
Inhalt
Vor allem in den ersten Jahren des Hefts finden sich Beiträge, die auf bildungsbürgerliche Getragenheit setzen – die erwähnte Nahbarkeit der 1950er-Jahre ist hier noch weit entfernt. In der Programmankündigung zur Sendung „Freundschaft mit Tieren“, auf die das Titelbild hinweist, heißt es:
„Seit je ist durch dieses einfache Da-Sein, das so ohne Frage ist, das Tier dem Menschen in fast heiligem Licht erschienen. Die alten Kulturvölker verehrten ihre Gottheiten in Tiergestalten: die Chinesen im Drachen Lung, die Ägypter im Stier Apis. Noch Homer gab seinen Göttinnen Hera und Athene die Beinamen ,boopis‘ und ,glaukopis‘, hergeleitet vom majestätisch blickenden Auge der Kuh und dem scharffassenden Sehen der klugen Eule. Alles Beweise, daß das Anders-Sein der Tiere, ihr Freisein von schwächlicher Verwirrung und Verstrickung in Eitelkeit und Laster mancher Art, den Menschen ergriffen und beschäftigt haben muß.“
Irritierende Textstellen wie diese haben Teil an einem breiten Diskursphänomen. Metaphysische und ontologische Argumentationen mit ihren bisweilen salbungsvollen Universalisierungen sind gegen Ende der 1940er-Jahre en vogue. Abstrakte Großkategorien wie ,Sein‘, ,Seele‘, ,Geist‘ und ,Abendland‘ dienen als Eckpfeiler der rückwärtsgewandten Erneuerung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ein Beitrag wie „Freundschaft mit Tieren“ popularisiert dieses Phänomen. Der Text entlehnt den getragenen Duktus samt der für Martin Heidegger charakteristischen Worttrennungsstriche und hebt mit Hilfe des philosophischen Vokabulars den Verfasser, Gegenstand und Adressaten gleichermaßen auf einen Sockel. Versatzstücke aus dem Arsenal der humanistischen Tradition (boopis, glaukopis etc.) flankieren die Strategie und offerieren den LeserInnen Erbauung im Rahmen einer als privilegiert ausgewiesenen, bildungsgesättigten Erfahrung.
Verdikt
Bereits der schillernde, teils unfreiwillig komische Eigenwert vieler Beiträge lohnt einen Blick in die Hefte. Auch in den 1950er-Jahren sind Tiere nach wie vor ein Dauerthema der Hör Zu! Doch der weihevolle Ton ist verschwunden. Die Beiträge, in denen die Tiere häufig selbst,zu Wort kommen‘, verbinden Heimat- und Domestikationssemantiken mit vorwiegend humoristischem Einschlag. „Schwarzkittel wird Zivilist“ ist der Titel einer Bildergeschichte, die 1956 in der Hör Zu! erscheint. Den Zeitungsigel Mecki wird es gefreut haben:
Philipp Pabst promoviert an der WWU Münster über Populärkulturelles in der Literatur der 1950er-Jahre. Auf die frühe Hör Zu! ist er durch das Münsteraner Pop-Archiv gestoßen. Dort finden sich viele weitere Trouvaillen aus den Jahren 1950-1970 und darüber hinaus.