streik zeitung – Nr. 6 Mai 2015
„Warum sollten mehrere Tausend GDL-Mitglieder scharf darauf sein, ‚einfach so‘ zu streiken – um des Streikes willen? Sie haben bei diesem Streik die Medien und viele Fahrgäste gegen sich. Sie erleiden in jedem Fall – auch bei dem nun erhöhten Streikgeld – deutliche Einkommensverluste. Es gibt am Arbeitsplatz nervenaufreibende Gespräche mit Kollegen, die anderer Meinung sind. Das Verhältnis zum Vorgesetzten oder zum Arbeitgeber verhärtet sich. Teilweise, so bei befristeten Arbeitsplätzen, droht bei einer Unterstützung für den Streik der Arbeitgeber mit dem Verlust des Arbeitsplatzes.“
Was?
Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) kündigte vergangene Woche den neunten Streik in elf Monaten an. Die nach eigener Angabe „älteste deutsche Gewerkschaft“ (der Ursprung war der 1867 gegründete Verein Deutscher Lokomotivführer) plante die zeitlich unbeschränkte Arbeitsniederlegung während der Pfingstfeiertage, wo das Reiseaufkommen besonders hoch ist. Die Medienberichte überschlugen sich erneut: Die Autobahnen und seien voll, das Geschäft mit Fernbussen floriere. Die B.Z. richtete als besonderen Clou eine stündliche Sonderbahn im Berliner Nordsüdkorridor ein.
Zu diesem Zeitpunkt erschien die sechste Ausgabe der Streik Zeitung. Der zwölfköpfige Herausgeberkreis sieht sich politisch, wirtschaftlich und redaktionell unabhängig von der GDL, unterstützt aber ihre Forderungen, welche die Erhöhung des Lohns um 5 Prozent und eine neue Regelung der Arbeitszeiten umfassen.
Inhalt & Vermutete Zielgruppe
Doch nicht nur bessere Arbeitsbedingungen waren Ziel des GDL-Streiks. Auch die Bundestagsabstimmung über Andrea Nahles (SPD-Arbeits- und Sozialministerin) erarbeiteten Gesetzesentwurf zur Tarifeinheit kommuniziert man in der Streik Zeitung als Ursache des neuen GDL-Streiks. Das Gesetz verstärke eine Regelung wonach, so Dietrich Creutzburg in der Frankfurter Allgemeinen,
„Ein Arbeitgeber innerhalb derselben Berufsgruppe in einem Betrieb nicht zwei unterschiedliche (‚kollidierende‘) Tarifverträge anwenden muss. Falls Beteiligten in einem Konflikt mit konkurrierenden Gewerkschaften – wie etwa bei der Bahn – keine einvernehmliche Lösung gelingt, soll der Tarifvertrag jener Gewerkschaft Vorrang haben, die im betroffenen Betrieb die meisten Mitglieder hat.“
Politiker und Medien nannten die GDL„Spalterorganisation“ und„Ellenbogen-Gewerkschaft“. Vor allem dem derzeitigen Vorsitzenden Claus Weselsky wird vorgeworfen, für eine Minderheit der Zugführer unhaltbare Forderungen zu erheben. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) habe ungefähr sechsmal mehr Mitglieder als die GDL. Die GDL, die vorrangig als Gewerkschaft für Strecken- und Rangierlokführer gilt, hat sich in den vergangenen Jahren Berufsgruppen wie Zugbegleiter und Bordgastronomen geöffnet. Das sieht man als Wilderei.
Das Tarifeinheitsgesetz wurde am 22. Mai vom Bundestag verabschiedet. Für den Konflikt zwischen Bahn und ihren zwei Gewerkschaften kommt es zu spät. Ein Tag vor Abstimmung wurde der unbefristete Streik nach nur 36 Stunden beendet. Die Tarifpartner einigten sich auf ein Schlichtungsverfahren mit Friedenspflicht. Nicht mal eine Woche später konnte sich die EVG gestern mit der Bahn auf neue Tarifverträge einigen. Die durch sie vertetenden Mitarbeiter bekommen eine Lohnerhöhung in zwei Staffeln von insgesamt 4,9 Prozent. Außerdem gibt es eine Revisionsklausel. Sofern die GDL bei ihren Tarifverhandlungen bessere Ergebnisse erzielt, wird auch für die EVG-Mitglieder nachverhandelt. Zuvor drohte die EVG ihrerseits mit Streiks. Diese fanden nicht statt.
Für solche Ergebnisse – auch wenn sie dann einer anderen Gewerkschaft zugutekommen – ist gewisse stilistische Härte unumgänglich. Auch in der Streik Zeitung eignen sich manche Sätze für die Ansprache durch ein schlecht ausgepegeltes Megaphon: „Die DB lässt die Infrastruktur verfallen […] Sie lässt in den neuen Zügen die Beinfreiheit auf Billigflieger-Niveau reduzieren. Sie lässt Tausende Bahnhöfe in Pisskultur verfallen“ oder „Die Krokodilstränen über die Interessen der Allgemeinheit vergießen neoliberale Politiker immer dann, wenn es um etwas ganz anderes geht.“ Durchwirkt sind die Artikel von GDL-Unterstützer-Testimonials.
Überraschend gut weg kommt in mehreren Texten Wolfgang Kubicki, Vize der FDP, die grundsätzlich als Geschäftsmann- und Arbeitgeberpartei gilt. Kubicki sagte in einem FOCUS-Interview (18. Mai): „Ein Streik, der nicht weh tut, taugt nichts. Es ist an der Bahn, hierauf angemessen zu reagieren.“
Preis
Laut Selbstauskunft ist die Streik Zeitung „einsetzbar parallel zu Streikmaßnahmen, z. B. vor Bahnhöfen und gegenüber Fahrgästen.“ Bekommt man sie nicht in die Hand gedrückt, die Streik Zeitung bestellen, wobei man mindestens 10 Hefte zu je 30 Cent abnehmen muss. Kauft man über 250 Exemplare, reduziert sich der Preis auf die Hälfte. Der Versand ist in diesen Kosten schon enthalten.
Persistenz und Auflage
Seit November 2014 kamen sechs Nummern der Streik Zeitung, wobei man sich bei der fünften Ausgabe für die Veröffentlichung ausschließlich als pdf-Datei entschied. Mit dieser Ausgabe kehrte man zum Papier zurück. Von den Druckausgaben produzierte man zwischen 40.000 und 70.000 Exemplare, so das Team der Streik Zeitung. Sie wurde auch Tageszeitungen beigelegt.
Verdikt
Es wird gerade viel gestreikt. Leider hauptsächlich in den durch Steuern finanzierten Läden. In den Arbeitsbereichen der freien Wirtschaft zeigt sich wenig medienwirksame Mobilisierung der Arbeitnehmer. Eine Ausnahme bildet das Personal des Online-Versandhauses Amazon. Deren Forderung einer Bezahlung nach Einzelhandelstarif ist regelmäßig ein bundesweites Gesprächsthema, wobei die Lippenbekenntnisse meistens solidarisch sind.
Bisher hört man nichts vom Arbeitskampf bei Angestellten in Call Centern oder von Kellnern und Lageristen, die durch Zeitarbeitfirmen vermittelt werden. Auch festangestellte Journalisten, die in ihren Artikeln und bei Vorträgen über die schlechte Stimmung in den schrumpfenden Redaktionen klagen, hätten sicher einen Anlass zur Arbeitsniederlegung.Die deutsche Seele bleibt in vielen Bereichen geknebelt im sklavischen Pflichtbewusstsein, macht den Mitarbeiter zum Soldaten des Lebens. Stefan Welzk schrieb in den Blättern für deutsche und internationale Politik , dass die „High-Tech-Nation über einen der größten Niedriglohnanteile der EU verfüge.
„Die Schwächung der Gewerkschaften hat dabei wohl keine geringe Rolle gespielt: Ihr Organisationsgrad hat sich seit der Wiedervereinigung schlicht halbiert, von 36 Prozent 1991 über 25 Prozent im Jahr 200 auf nunmehr 18 Prozent.“
Nun sollen per Gesetz die Handlungen Gewerkschaften stromlinienförmiger werden. Die Lektüre der Streik Zeitung kann das Bewusstsein dafür schärfen. Wirklich unterhaltsam ist das nicht.