DAS WETTER – 09/2014
„Man führt ein Doppelleben. Wie die Nutte, die in der Uni erzählt, sie wäre letzte Nacht nur tanzen gewesen.“
Was?
Der Carnivora Verlagsservice ist ein im Jahre 2009 aus der Wochenzeitung jungle world heraus gegründeter Vertrieb für Periodika der zweiten oder dritten Reihe, wie das feministische EMMA-Gegengewicht Missy Magazine, das Wochenend-Reisemagazin Weekender und der große Fisch, das amnesty journal. Die inzwischen eingestellte popkulturelle Ergänzung des Carnivora-Portfolios, die Zeitschrift OPAK, wurde durch Das Wetter ersetzt.
Erwerbsgeschichte
OPAK wurde hier vor einigen Jahren rezensiert. Das erste Heft meines Abonnements ließ damals sehr lange auf sich warten. Es war auch das einzige, dass kam und zwar kurz nachdem ich gekündigt hatte ohne zu bezahlen. Die Aboprämie kam selbstverständlich nie. Das wurde hier entsprechend ausgebreitet. Inzwischen ist mir klar geworden, dass man ja beim Carnivora Vertrieb auch nichts dafür konnte, dass die OPAK-Redaktion ihr Heft so sang- und klanglos eingestellt hatte. Trotzdem habe ich Das Wetter dann doch lieber direkt beim Verlag direkt bestellt und nicht über den Nationalvertrieb.
Preis
10,- (€)
Turnus & Auflage & Werbung & Titel
Das Wetter erscheint alle drei Monate. Die hier vorliegende Ausgabe von September 2014 wurde außerhalb dieses Turnus veröffentlicht. Es ist ein auf 100 Exemplare limitierter Nachdruck der Originalnummer vom Juni 2014, deren Auflagenhöhe 2.000 Hefte hat. Die zweite Auflage bietet nicht nur durch die Handnummerierung den Glanz des Exklusiven, sondern eine neue Bebilderung. Die Anzeigen fehlen. Den Titel ziert zudem eine Signatur der 1UP-Familie, die Berlinkennern durch ihre formalistischen Großgemälde an Oberkanten gut sichtbarer Brandwände bekannt sein könnte.
Inhalt
Apropos Berlin kennen: Es ist jetzt auch schon wieder einige Monate her, dass die Nerven (Interview in dieser Ausgabe) genau einen Tag nach der Räumung der Berliner Cuvry-Brache im Lido gespielt haben. Der Club steht direkt gegenüber der Brache, welche in den vergangenen Jahren immer mehr von Projektierern und Sinti und Roma in Beschlag genommen wurde. An der Ostseite dieser Brache war ebenfalls eine Bandmauer. Auch dort waren großformatige Bemalungen zu sehen die zwei sich demaskierende Vermummte und einen gefesselten Krawattenträger zeigten.
Doch diese Bilder sind verschwunden. Ein Feuer in den improvisierten Wohnstätten sorgte dafür, dass dem Grundstücksbesitzer der Kragen platzte. Einsatzkräfte mussten anrücken, Bauzäune wurden aufgestellt, die Straße gesperrt. Der Konzertabend stieg also in der richtigen Atmosphäre, der guten alten Kreuzberger Mischung aus Party, Protest und Polizei. Ich war schon ewig nicht mehr in der Ecke. Lido ist ja unsympathisch groß. Die Nerven haben sich hochgearbeitet. 2013 spielten sie noch im West-Germany am Kotti, 2012 im Schokoladen, dem fast letzten besetzten Haus von Hauptstadt-Mitte (beide Läden fassen vielleicht 100 Zuschauer, das Lido eher 500).
Apropos Mitte: Vielleicht weil mir das Lido oder Die Nerven ein wenig unsympathisch sind oder vielleicht auch nur, weil ich arbeiten musste, habe ich Alexander Sasse einen Tag vorher für das Konzert abgesagt. In Ermangelung besserer Ideen zischten wir spätabends trotzdem noch drei Bier am asiatischen Kiosk an der Torstraße Ecke Rosa-Luxemburg, sind dann durch das alte De:Bug-Kerngebiet flaniert, haben uns standesgemäß über Touristen in den Bars und Imbissen um den Rosenthaler Platz geärgert und geschaut was der Horzon so in der Auslage stehen hat.
Ja und da wir damit nun bei den Relikten der 1990er Jahre angekommen sind, nochmal kurz was zu Diederichsen, dem für diese Ausgabe ebenfalls einige Fragen gestellte wurde: Bei Musikkritikern frage ich mich ja immer, ob sie mal in einer Band gespielt haben. Bei Diederichsen frage ich mich außerdem, wie er Musik hört. Vermutlich wie ein Wissenschaftler Ratten seziert. Wahrscheinlich ist er noch härter drauf, als wenn meine Wenigkeit sich Zeitschrifteninhalte zuführt. So sehe ich ihn als brüderlichen Anhänger der kontinuierlichen Erledigung von selbstauferlegten Hausaufgaben.
Verdikt
Und Apropos Hausaufgaben und Musik hören und zurück zu den Nerven: Im Nachhinein war es nicht schlimm das Konzert verpasst zu haben. Es ist eine Band, die mich wirklich nicht auf Anhieb interessiert hat, obwohl ich verfolge, was ihr Ex-Label This Charming Man sonst so herausbringt. Das Interesse an den Nerven konnte nur das Feuilleton schüren. Beiträge gab es zum Album Fun zu Genüge. Dazu kamen Gerüchte.
Neulich hörte ich dieselbe Klage von zwei unterschiedlichen Freunden, die in unterschiedlichen Bands schon einmal mit den Nerven Konzerte gespielt hatten: Die Nervis seien noch so jung und mit verblüffendem Selbstvertrauen würden sie Altbekanntes so bringen., als hätten sie es erfunden. Vielleicht haben sie auch nur die Hausaufgaben ordentlich gemacht.
Durch solche Kommentare lernt man die Band in einem anderen Licht zu sehen und man lernt, dass Erfolg in Deutschland keine Freunde macht. Hoffentlich ist das beim Das Wetter anders. Die neuste Ausgabe ist jetzt erschienen. Diesmal mit blauen Titel, den erstmals eine Frau ziert. Im Heft dann wieder Text und Musik. Ein Schwerpunkt ist Rap (Hafti, Zugezogen Maskulin, etc).
Carnivora hat das Heft an den Bahnhofskiosk gebracht. Und wenn es da wieder Probleme gibt, dann einfach Herausgeber Sascha Ehlert schreiben. Ersguterjunge. Er lässt Bestellungen nicht lange liegen. Er macht hoffentlich auch 2015 regelmäßig weiter. 2UP!