Donnerstag, 13. November 2014

adaposta – Kasım 2009-Kasım 2010, Yıl. 7 Sayı.48-50

adaposta Bozcaada

Was?

adaposta war eine Lokalzeitung auf der Insel Bozcaada (neben Gökçeada die einzige türkische Insel der Ägäis). Bozcaada gilt als touristischer Geheimtipp, doch an jedem beliebigen Augustwochenende wird dieses Image revidiert, wenn die Instanbuliten einfallen, möglicherweise im griechischen Viertel des Ortes Hochzeitsfotos von sich schießen lassen und am Sonntag bepackt mit Wein und Tomatenmarmelade in ihr Moloch zurückkehren wollen und dabei auf der Hauptstraße des Hauptortes einen Verkehrsstau verursachen, weil sie alle die Abendfähre nehmen möchten.

Die Herausgeberin der adaposta war Lisa. Sie kam in den frühen 1990er Jahren auf die Insel. Irgendwann knabberte an ihr der Käfer der journalistischen Ambitionen, der bekanntermaßen ein zäher Störenfried ist. Sie gründete eine Lokalzeitung. Ein Café hatte sie schon.

Erwerbsgeschichte & Preis

Mich führte ein Hinweis im Reiseführer in das Café at Lisas. Der Besuch geschah auch in der Hoffnung, ein Gespräch zu führen, dessen Funktion nicht die Abwicklung eines Kaufgeschäfts war. Lisa schenkte mir so ein Gespräch. Sie erzählte mir viel und auch von ihrem eingestellten Zeitungsprojekt. Ich bat sie um Einblicke. Einige Tage später legte sie eine Plastiktüte mit den Ausgaben neben mein Weinglas. Ich durfte stöbern und nehmen was ich wollte. Also stöberte ich und entschied mich für die letzte Ausgabe. Natürlich wollte mir Lisa das Heft schenken. Das kam aber nicht infrage. Die nötige Durchsetzungskraft konnte nur mit dem auf den Tisch geknallten Geldschein bewiesen werden.

Werbung

Bozcaada ist bekannt für den guten Wein. Die Umschlagseiten sind für dieses Genussmittel reserviert. Die Anzeige des größten Weinguts ist untenstehend abgebildet:

Auflage & Turnus & Persistenz

Ungefähr 800 Hefte wurden pro Ausgabe gedruckt. Die Bögen kamen dann mit der Fähre vom Festland und wurden auf Releaseparties im Cafe gefaltet. Anfangs erschien adaposta zweiwöchentlich, dann vierteljährlich, dann halbjährlich und dann irgendwann nur noch jährlich.

Stillschweigend stellte Lisa ihre Zeitung nach dieser Ausgabe ein. Nicht nur beanspruchte das Café zu viel Zeit, Lisa bemerkte auch, dass man sich das Leben zu schwer macht, wenn man im insularen Raum ernsthaften Journalismus betreiben möchte. So gerne Leute sich in ihrer Funktion und ihrem Engagement dargestellt sehen, so empfindlich reagieren sie, wenn ihre Erwartung bei dieser Darstellung nicht erfüllt werden. In Artikeln tritt man schnell jemanden auf die Füße. Der Getretene wird sich dann möglicherweise mit einem Tritt gegen das Schienbein revanchieren. Schlecht wenn man nebenher als Gastronom in gewisse Abhängigkeiten verstrickt ist.

Verdikt

Bei Tripadvisor habe ich das Cafe at Lisa’s als „ausgezeichnet“ bewertet. Die Pizzen und Nudelgerichte waren eine hervorragende Alternative zu den ganzen Fischrestaurants im Ort. Da ich nicht türkisch spreche, kann ich bei der adaposta nicht so rückhaltlos lobend sein. Es sei daher die Reflektion von Lisas ätzendem, aber aus der Erfahrung einer Zugezogenen gespeisten Satz erlaubt: „Wenn du in einer wirklich selbstzerstörerischen Gesellschaft leben willst, dann musst du in die Türkei ziehen.“

Ja, um eine Nation zu werden, hat sich dieser arabisch-europäische Kalifatsrückstand, der jetzt die Türkei ist, selbst zerstört. Eine klare ethnische Identität, eine neue Schift, ein klarer Schnitt, um sich an den Titel von Faith Akıns neuem Film anzulehnen. Das soll den Türken hier nicht zum Vorwurf gemacht werden. Sie sind sich ihrer Einmaligkeit in der islamischen Welt bewusst und weiter stolz auf den wirtschaftlichen Aufschwung. Überall in Istanbul flattern übergroße Nationalfahnen. Es geht voran, zumindest wird gebaut. Vielleicht bietet jenes Gespräch mit meinem Freund Burak, gebürtiger Istanbuler, einen sanfteren Weg zur rätselhaften türkischen Seele: „The Germans are born to produce“, sagte er mir in einer Kneipe in Beşiktaş beim dritten Bier und ergänzte mit einem guten Schuss gespielter Demut „turkish people are born to serve.“

Die Deutschen produzieren also, war sein Gedanke. Sie werkeln, sie verfolgen Ideale, bleiben bei Konzepten und unglücklich weil die Konzepte nie genügen, um die Ideale zu erreichen, ergänzte ich großspurig kompliziert. Deutsche sind die knurrigen Kauze im Hobbykeller, fanden wir beide. Die Türken stehen vor dem Haus, sie handeln, sie kommunizieren, sind Gastgeber, baute Burak die Metapher aus. Dabei ist die deutsche Übersetzung des englischen Wortes „serve“ vielleicht mit dienen oder bedienen gleich zu setzen. Es bedeutet dann aber nicht nur, eine Mahlzeit schnell aufzutischen. Es bedeutet auch Maschinen zu bedienen. Dafür hat man vor vielen Jahrzehnten viele Türken nach Deutschland geholt. Aber vor allem auch Autos und Mobiltelefone bedienen sie gerne. Die Liebe zum Komfort ist nicht verstohlen, kommuniziert wird leidenschaftlich. Es geht dabei nie um vorher oder früher, sondern um den Moment, der möglichst kunstvoll ausgespielt werden sollte.

Sicherlich gibt es auch in der türkischen Sprache ein Wort für unfertige Rohbauten, die in der Landschaft vor sich hinmodern. Diesem Wort wird sicherlich nicht die geiselnde Vorstellung von Versagen durch Unfähigkeit und Fehlplanung mitschwingen, wie beim deutschsprachigen Äquivalent, dem Wort Bauruine. Und diese Metapher wiederum mag vielleicht etwas hart für den türkischen Staat sein, denn dann wäre in der Bauruine immerhin ein Supermarkt oder eine Textilfabrik. Und es geht hier ja nicht um Völkerrecht oder soziale Wesenszüge, sondern um eine Lokalzeitung. Daher soll das Wort Bauruine zum Abschluss dieses Metaphergewitters als liebevoller Ausdruck für alle kurzlebigen und unvollendeten publizistischen Projekte wie die adaposta verwendet werden. Auch wenn Sie vor sich hinmodern und ihr Konzept nie aufgegangen ist, ging diesen Bauruinen ein euphorischer, mitunter selbstzerstörerischer Hang ihrer Konstrukteure voraus.

Donnerstag, 03. August 2017

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