Frankfurter Allgemeine – Freitag, 13 Juni 2014 • Nr. 135/24
„Wirtschaftssanktionen können durchaus ein Mittel sein, um Wladimir Putin zu beeindrucken. Denn der russische Präsident hat versprochen, sein Land zu modernisieren. Dazu braucht es moderne Anlagen, und viele russische Unternehmen wollen lieber in Deutschland Maschinen bestellen als in China. Aber der Politik muss auch bewusst sein, dass wirklich schmerzhafte Sanktionen unwägbare Folgen haben. Dann wird es um entgangene Aufträge in Milliardenhöhe gehen. Daran kann weder Berlin noch Moskau gelegen sein.“
Was?
„Zeitungen, die über manchen, wenn nicht sogar über jeden Zweifel erhabene Frankfurter Allgemeine konnte er nicht anders als als Mistblatt bezeichnen oder, noch schlimmer, Edelmistblatt oder gar als Fassadenkosmetikgazette und Millionärsprawda.“
So schöne Schmähbegriffe fand Martin Walser in seinem Roman Finks Krieg für die möglicherweise am meisten respektierte und sperrigste überregionale Zeitung, die in Deutschland jeden Tag aufs Neue erscheint. Der Untertitel drückt den Anspruch trocken aus: Zeitung für Deutschland. Die Frankfurter Allgemeine, auch mit FAZ abgekürzt, kam 1949 auf den Markt. Sie hat wenig Bilder, aber sehr viele Korrespondentenbüros und noch mehr redaktionelle Mitarbeiter mit Doktortitel.
Erwerbsgeschichte & Preis
Es ist nicht ganz einfach in Berlin-Kreuzberg eine FAZ zu bekommen, wenn man sie dringend braucht. Erfolglos steuerte ich erst einen Getränkemarkt mit Zeitschriftenverkauf an, dann einen kleinen Kiosk in der Ritterstraße. Doch erst der Verkäufer eines Büdchen am Kreisverkehr hatte was ich suchte. Ich griff die vorletzte Kopie der FAZ, dazu noch eine Bild-Zeitung.
Nun dachte der Verkäufer, ich zöge das Springer-Boulevardblatt der hessischen Abonnement-Tageszeitung vor. Also bat er mich, die FAZ wieder in den entsprechenden Stapel auf der Auslage einzusortieren. Ich wollte aber beides. „Ja, das gibt es.“ Lachen, Freude, genau drei Euro; die FAZ machte gut zwei Drittel des Gesamtpreises aus.
Auflage
Druck, Quartal 1/2012: 440.148 Exemplare (IVW)Druck, Quartal 1/2014: 366.959 Exemplare (IVW)
Titel
Bei der FAZ gibt es keinen Chefredakteur, sondern ein Gremium von Herausgebern. Jeder Herausgeber betreut ein Ressort. Wie im FOCUS mal zu lesen war, liegt das Jahresgehalt eines Herausgebers im mittleren sechsstelligen Bereich. Doch der Spardruck im F.A.Z.-Verlag ist höher geworden. Einer der Herausgeber – der bis vor kurzem für die Außenpolitik verantwortliche Günther Nonnenmacher – sollte Ende dieses Monats gehen. Das ist nun aufgeschoben. Kommissarisch übernimmt er nun das Feuilleton. Der dafür zuständige Kollege war überraschend verstorben. Sein Name, Frank Schirrmacher, taucht in dieser Nummer ein letztes Mal im Titelkopf auf.
Was war passiert?
In der Bild berichten Simone Windhoff und Max Schneider, dass Schirrmacher am Donnerstag, dem 12. Juni am Vormittag eine SMS an die Kollegen geschrieben hatte. Ihm ginge es nicht gut. Nach dem Absenden dieser SMS wurden Krankenwagen und Notarzt zu Schirrmachers Wohnung in das Frankfurter Westend gerufen. Bei der Bergung aus dem dritten Stock kollabierte sein Kreislauf. Eine Stunde nach seiner Einlieferung in das Krankenhaus Sachsenhausen starb Schirrmacher. Sein publizistisches Schaffen fand damit nach 26 Jahren im FAZ-Feuilleton und nach vier Bestsellern ein Ende. Schirrmacher hinterlässt drei Kinder, eine Ex- und eine Ehefrau (beide haben Romane geschrieben).
Mit Peter Sloterdijk, Richard David Precht und möglicherweise Sascha Lobo war Schirrmacher einer der wenigen landesweit bekannten Fernseh-Intellektuellen und unter ihnen vielleicht der bekannteste; ein stets überhitzt wirkender Debatten-Lancierer, ein „Erregungstechniker schlechthin“ (Jens Jessen).
Wer wollte, konnte sich im vergangenen Jahr über Joachim Rohloffs köstliche Rezension von Schirrmachers vorletztem Buch ‚Payback‘ im Merkur amüsieren. Rohloffs Aufzählung sprachlicher Mängel entspricht Schirrmachers Ruf als Dampfplauderer, der ihm womöglich seit seiner Express-Promotion an der Gesamthochschule Siegen anhing. Doch man darf nicht so hart sein: „Er bestand schon deshalb auf äußerster Genauigkeit des Gegenlesens, weil er viele Texte aus der Hand gab, ohne sie selbst noch einmal zu lesen“, erinnert sich der Kollege Patrick Bahners in einem der zahllosen Nachrufe, denen man in den vergangenen zwei Wochen kaum entgehen konnte.
Inhalt
Die Lektüre der Frankfurter Allgemeinen ist ein intellektuelles Gala-Buffet. Ohne die Bücher voneinander zu trennen las ich die FAZ von hinten nach vorne. Geboten wurde: Politik, Feuilleton (inkl. Fernsehprogramm), Wirtschaft, Sport (inkl. aller Anstoßzeiten aller WM-Vorrundenspiele), Finanzen, Immobilien. Die Fülle an Texten, vor allem aber ihre Qualität, lassen eher an ein Nachrichtenmagazin als an eine Tageszeitung denken.
Werbung & Vermutete Zielgruppe
Mitte Mai dieses Jahres berichtete das Handelsblatt, dass Thomas Lindner, der Vorsitzende der FAZ-Geschäftsführung, darüber nachdenkt den Turnus der FAZ-Magazinbeilage zu erhöhen. Damit will man das schwächelnde Anzeigengeschäft wiederbeleben.
Wie derzeit die Süddeutsche Zeitung, enthielt die FAZ zwischen 1980 und 1999 jeden Freitag ein Supplement. Nach der Einstellung dieses Supplements versuchte man die Berliner Seiten zu etablieren. Das von Bestsellerautor Florian Illies betreute Ressort erlangte Renommee als „kurzes medienhistorisches Frühlingsglück im sich neu erfindenden Berlin“, so der Axel Springer-Vorstandsvorsitzende und ehemaliger FAZ Musikkritiker und Korrespondent Mathias Döpfner. Trotzdem wurden die Berliner Seiten knapp drei Jahre später wieder aus dem Blatt entfernt. Im Februar 2013 wurde das Magazin wiederbelebt. Es erscheint aber nicht wöchentlich. Für 2014 sind neun Ausgaben geplant.
Lindner hat aber noch mehr unternommen. Er hat Anzeigenplatz in der Dachzeile verkauft. Das sieht man bei der hier besprochenen Ausgabe noch nicht. Die erste Annonce tauchte Anfang dieser Woche auf. Ein Schweizer Möbelhersteller darf der männlichen, mittelalten und gut verdienenden FAZ-Zielgruppe nun 167 kleine Anekdoten zum Besten geben. Wirklich störend ist das nicht. Im Gegenteil: Die Anzeigenleere der Frankfurter Allgemeinen ist bedrückend. Vor allem wenn man sich vergegenwärtigt wie dicht allein der Kleinanzeigenteil einer Freitagsausgabe der FAZ vor 30 Jahren war.
Bei diesen marktschreierischen, möglicherweise zwielichtigen Angeboten bekam man das Gefühl eine echte Großstadtzeitung vor sich zu haben und damit ein Abbild Frankfurts, dieser womöglich etwas fantasiearmen, aber voll funktionellen Main-Mini-Metropole mit all ihrer fehlenden Feinfühligkeit und hemdsärmeligen Gradlinigkeit, bei der auch immer ein gerüttelt Maß an Gosse mitschwingt.
Verdikt
Die FAZ und ich: eine neue Liebe für das Leben? Oder zumindest eine durch dramatische Ereignisse initiierte Affäre? So oder so: Willkommen bei den Großen. Willkommen in der knochentrockenen Welt des papierenen Tagesjournalismus. Willkommen am Aktienmarkt. Willkommen im Post-Schirrmacher-Feuilleton.