Die Aktion – Heft 220
„Nicht, dass Lutz Schulenburg der Auffassung gewesen wäre, das Ende des Kapitalismus stünde kurz bevor. Aber er konnte sich eben einfach nicht vorstellen, dass die Menschheit eine so irrsinnige Gesellschaftsformation noch sehr viel länger zu tragen bereit sei. Und er wollte sich keinesfalls nachsagen lassen, er habe als Verleger nicht sein Möglichstes getan, um die geneigte Leserschaft einer neuen, besseren Welt näherzubringen. Lieber einmal mehr 'Kapitalismus abschaffen!' rufen. Lieber ein Manifest zu viel als eins zu wenig.“
Was?
Bereits zwischen 1911 und 1932 wurde vom Totaldemokraten Franz Pfemfert eine Zeitschrift mit dem Namen Die Aktion herausgegeben. In ihrer Frühphase war sie als Plattform für den zu Beginn der 1910er noch neuen Expressionismus gedacht. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs wurde immer mehr der Kontakt zur Arbeiterbewegung gesucht und der Rätekommunismus propagiert. 1932 ging die Aktion ein, auch als Folge der Inflation und des instabilen Gesundheitszustandes des Herausgebers, der 1954 im mexikanischen Exil verstarb.
1981 wurde Die Aktion vom norddeutschen linken Verleger Lutz Schulenburg neu gegründet. Auf dem Titelbild versteckt er sich hinter dem Megaphon und auf folgender Aufnahme hinter einem großen Kochtopf. Schulenburg war Arbeiterkind, abgebrochener Dekorateurlehrling, zu Beginn der verlegerischen Tätigkeit rechtschreibschwach und ein Leben lang – so sagen diejenigen, die ihn kennen – von wenig Ordnungsstärke gezeichnet. Die Politisierung im Zuge der sogenannten 68er war für sein restliches Leben und vor allem auch für sein verlegerisches Schaffen prägend.
Schulenburg ist am 1. Mai 2013 kurz nach seinem 60. Geburtstag an den Folgen eines Hirnschlags gestorben.
Auflage
Von jeder Ausgabe der Aktion wurden 1.000 Exemplare gedruckt. Bei dieser Ausgabe waren es etwas mehr, nämlich 1.500, weil sie als Gedenkschrift für Lutz Schulenburg an Freunde, Bekannte und Kollegen verteilt wurden.
Erwerbsgeschichte
Auf der letztjährigen Frankfurter Buchmesse hatte die Edition Nautilus ihren Stand in Halle 4.1, Gang D 33-35. Gleichermaßen an der Aktion als auch an Andrea Maria Schenkels Millionen-Bestseller Tannöd interessiert (mit dem sich die Edition Nautilus Ende des vergangenen Jahrzehnts saturierte), stattete ich dem Stand eine Besuch ab. Da der Stauraum im Rollkoffer begrenzt war, griff ich zur Aktion.
Persistenz & Turnus & Vermutete Zeilgruppe
Bevor Schulenburg Die Aktion wiederbelebte, war er bereits zehn Jahre im harten Verlagsgeschäft tätig. 1971 begann er mit seiner Lebensgefährtin Hanna Mittelstädt die Prospektreihe MaD zu veröffentlichen. Das Kürzel steht für „Materialien, Analyse, Dokumente“. Erste Nummern wurden auf einer halbelektronischen Schreibmaschine gesetzt, persönlich geheftet und in DIN A 4 gedruckt. Daraus wurde 1974 ein echter Verlag.
1976 erzwang das vernüftigste Magazin der Welt mit demselben Namen eine Umbenennung. „Die haben sofort eine einstweilige Verfügung gegen uns erwirkt, wegen Namengleichheit und pipapo. Wir haben daraufhin den MaD-Verlag endgültig in der Edition Nautilus aufgehen lassen, ein viel schönerer Name“, so Schulenburg 2004 in einem Interview mit der graswurzelrevolution. Es gab aber auch in diesem neuen Verlag eine Zeitschrift. Sie hieß:
Wie Hanna Mittelstädt in einem Interview mit der Elektronischen Zeitung Schattenblick erzählt, war die Revolte „das Organ einer bestimmten Gruppierung von bis zu zwölf Leuten, die sich regelmäßig trafen und mit ihrer Kritik und Kohärenz an die Situationisten angelehnt waren.“
Gefühle des gemeinschaftlichen, politischen Aufbruchs währen nie ewig. Ende der 1970er brach der Arbeitszusammenhang auseinander. Schulenburgs Hingabe zum periodischen Publizieren blieb. Das resultierte in der ersten Ausgabe der Aktion. Sie blieb immer ein„leichtes Beiboot“ der Edition Nautilus (so Hanna Mittelstädt) und „gewiss ein Zuschussprojekt“ (Gerald Grüneklee).
Der Turnus wird auf verschiedene Weisen interpretiert: Nautilus-Autor Christoph Twickel meint „unregelmäßig, aber unermüdlich“. Anders sieht das Hanna Mittelstädt:„Wir haben das so vierteljährlich wie möglich genannt“, sagte sie während eines kurzen Telefonats mit dem Leser. Schaut man auf die Website der Edition Nautilus, scheint ein jährlicher Turnus die korrekteste Angabe zu sein.
Inhalt
Die Aktion Heft Nummer 220 ist keine typische Ausgabe dieser Zeitschrift, in der sonst politische Aufsätze und Kolumen zu lesen waren. Hier im letzten Heft bekommt man eine Sammlung von Kondolenzen, aber auch anekdotenreiche Erinnerungen daran, welche Hingabe, aber auch Kompromissbereitschaft Büchermachen erfordert, wenn es wirtschaftlich unabhängig sein soll: Auf dem Verlagsempfang belegten die „Nautilusse“ eigenhändig Brötchen, die Bild bekommt trotzdem ein Rezensionsexemplar von Corinna T. Sievers Kurzroman Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in seiner Schöpfung –„Geschäft ist Geschäft“, so Schulenburg.
Verdikt
Je länger man sich mit den Nachrufen auf Schulenburg beschäftigt, desto mehr Nachdenklichkeit beschleicht einen. Möglicherweise habe ich Schulenburg auf einer der vergangenen Buchmessen gesehen. Es gab zeitliche Überschneidungen während unserer Tätigkeiten im Betrieb. Er war ja auch mit seiner grauen, seitengescheitelten Mähne leicht zu erkennen. Vielleicht täusche ich mich auch und habe ihn nie erlebt. Nun schreiben viele, er sei ein phantastischer Mensch gewesen. Sein Erbe ist ein liebenswertes Exemplar zwischen den zahlreichen kleinen Publikumsverlagen in Deutschland.
Die Edition Nautilus begeht in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Das soll gefeiert werden, aber auch wenn die von ihnen initiierten Organisationszusammenhänge weiter bestehen, vermisst man tote Menschen trotzdem und manchmal sogar unbekannterweise.