Insel-Bücherei. Mitteilungen für Freunde Nr. 21, Frühjahr 2001
„Beim Vergleichen der Auflagen stellte sich überraschend heraus, daß die Erstauflage des Bandes aus zwei Teilauflagen besteht. Bei der ersten Teilauflage sieht man [an] den Rändern des Bildes auf Seite 45 noch einige Spuren der Anlagezeichnungen für den aufgezogenen Lichtdruckfilm. Auch wirkt der rechte Torpfeiler in Verbindung mit der gezeichneten Initiale (dem V), wie ein nach unten weisender Pfeil.
Der Illustrator des Inselbändchens, Hans Alexander Müller, mag das ebenfalls so gesehen haben, denn er überarbeitete - ein zusätzlicher Hinweis auf die experimentelle Herangehensweise beim Druckvorgang - die Tuschfederzeichnung, rückte das V etwas nach rechts und zog die rechte vordere Kante des Pfeilers bis in das V hinein. Dabei wurde die erste Zeile des beginnenden Abschnitts gekürzt und bestand jetzt nicht aus fünf, sondern in den folgenden Auflagen wieder korrigiert - aus vier Wörtern.“
Was?
Vor mehr als 100 Jahren, am 2. Juli 1912 (zwei Monate nach Axel Springers Geburt) nahm die von Anton Kippenberg erdachte Reihe Insel-Bücherei mit dem Nachdruck von Rainer-Maria Rilkes lyrischer Erählung „Die Weise von Liebe und Tod des Cornet“ ihren Anfang. Bis heute erschienen über 1.600 kleine Bände. Zwischen 1945 und 1991 sowohl in der BRD und der DDR. In der Gestaltung hatte sich nie viel geändert.
Es gibt einen sehr ausführlichen Wikipediaeintrag über die ganze Geschichte der Insel-Bücherei, vermutlich weil es eine Bibliophile gibt, die diese Büchlein sammeln und bereit sind für manche Ausgaben sehr, sehr viel Geld hinzublättern. Für solche sind die Mitteilungen für Freunde wohl gedacht.
Turnus
Jährlich
Auflage
„1500 Exemplare“
Erwerbsgeschichte
Während der Leipziger Buchmesse verordnete ich mir einen freien Nachmittag. Beim Flanieren durch den Auenwald hin zur Fußgängerzone geriet ich ungewollt in das Antiquariat Bücherinsel, dessen Besitzer Jens Förster hat sich vor allem auf die kleinen Reclamartigen Bände spezialisiert hatte. Leider war er nicht anwesend, deswegen mussten mir seine Eltern und andere Kunden erklären, was es mit den Inselbändchen auf sich hat und warum einige Exemplare in Glasvitrinen verschlossen waren.
Begeistert von so viel Kult um einen Gegenstand der mir bisher gänzlich unbekannt war, kaufte ich für drei Euro den Insel-Band Nr. 654 (Ost): Honoré de Balzac – Das Mädchen mit den Goldaugen (1965 gesetzt vom VEB Offizin Andersen, Nexö zu Leipzig, gedruckt von den Druckwerkstätten, Stollberg VOB).
Zurück auf dem Messegelände steuerte ich den Stand des Suhrkamp Verlags an, der den Insel Verlag inzwischen vollständig einverleibt und nach Berlin überführt hat. Dort war auf Kniehöhe ein knapper Regalmeter für die Mitteilungen reserviert. Wie es so läuft, wenn es gut läuft (Hüstelhüstel … Kollegenrabatt?), bekam ich die vorliegende Ausgabe von einem freundlichen Mitarbeiter überreicht, ohne einer Forderung von finanzieller Gegenleistungen nachkommen zu müssen.
Titel & Layout
Je nach Dekade und Erscheinungsort, variierte das Aussehen des Schiffchens, dem Markenzeichens Insel Verlags, in dem übrigens noch andere Reihen neben der Insel-Bücherei erschienen. Auf den Mitteilungen sind vielerlei Ausführungen des Signets aus verschiedenen Zeiträume zu abgebildet.
Uwe Tellkamp fiel beim Schreiben seines Romans ‚Der Turm‘ folgendes zu diesem Schiff und dem Namen des Verlags ein, als er aus der Sicht einer seiner Hauptfiguren das unsichere Literaturverhältnis eines privat praktizierenden Arztes im Dresden der frühen 1980er Jahre schildert:
„Er besaß viele Bücher, sie waren meist schmal und trugen fast alle ein Schiff, das mit vollen Segeln in einem feingezeichneten Kreis fuhr und Meno zum Nachdenken anregte, wieso der Verlag, wenn er sich ein Schiff zu seinem Zeichen wählte, Insel Verlag hieß: War das Schiff die Insel? die Insel ein Schiff? bestand die Insel aus Büchern, die das Schiff als Fracht trug?“
Inhalt
Die 21. Ausgabe der Mitteilungen für Freunde ist gut geeignet, um als Unwissender die bunte Welt der Insel-Bücher kennenzulernen – bunt weil ja tatsächlich jeder Band in ein anderes Papiermuster geschlagen ist. Heinz Sarkwoski gibt in seinem Aufsatz „Die ersten 20 Jahre der Insel-Bücherei 1912 – 1932“ eine 35-seitige, quellengesättigte und statistisch aufbereitete Einführung in die Frühzeit dieser Reihe. Bezugsengpässe von Papier, der Weltkrieg und ein quengeliger Stefan Zweig: Hier haucht die deutsche Literatur des frühen 20. Jahrhunderts ihren modrigen Atem direkt in die Synapsen.
Verdikt
Mitunter fühlt man sich bei der Lektüre wie ein Schüler mit Ingenieurstätigkeit als Berufswunsch, der sich mal wieder eine Doppelstunde Deutschkurs geben muss. In entsprechenden Musikmagazinen würde jetzt stehen: Ist was für Fans.
Sicher kommt Tellkamps Beschreibung der Insel-Fans als objektfixierte Leseratten nicht ganz vom Weg der Wahrheit ab.