Titanic – Juli 1991, Nr. 7
„Legenden ranken sich um den berühmten Potsdamer Platz. Bei Vollmond - so eine alte Sage - haben die Leute hier früher abgenagte Kotelettknochen vergraben. Monate später sollen dann Wildschweine zur Welt gekommen sein, die dressiert wurden und tagsüber auf die Kinder aufpassten, wenn die Eltern zur Arbeit mussten. Eine Geschichte, die wohl nur zum Teil auf Tatsachen beruht, denn die Eltern hatten früher gar keine Arbeit und brauchten die Wildschweine überhaupt nicht zum Aufpassen.“
Was?
Die Titanic muss wohl nicht unbedingt en détail vorgestellt werden. Dieter Hildebrandt vom Scheibenwischer sah mit dem 1979 in Frankfurt gegründeten Magazin den Untergang der Satire aufziehen. Vielleicht tituliert sich Titanic deswegen auch als das endgültige Satiremagazin?
Dieser Tage macht Titanic durch die Parodie vom Papst von sich reden. Dem dort abgebildeten Joseph Ratzinger wurde die weiße Robe im Schritt gelb gefärbt. Dazu kam die Überschrift „Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden“ Das zog eine Einstweilige Verfügung nach sich, außerdem rügte der Presserat.
Das und andere Klagen sind aber für den Verlag der Titanic nichts wirklich Neues.
Turnus
Monatlich
Auflage
Laut Impressum 115.303 Exemplare (Druckauflage 1. Quartal ’91). Am 10. September 2012 ist im Impressum im Netz die Auflagezahl von 99.760 Exemplaren angegeben. Bei dem Absinken von gerade mal 15.543 Exemplaren in 21 Jahren kann man in Zeiten von 4chan und Zeitungssterben wohl von einer sehr stabilen Auflage sprechen. Dazu kommt noch das dicke Geschäft mit dem Merchandise.
Preis
DM 5,-. Heutzutage kostet Titanic 4 Euros.
Seitenzahl
68 Seiten inklusive Mantel
Erwerbsgeschichte
Wie schon früher erwähnt, bündele ich alle Energie um den vor anderthalb Jahren von Philipp Goll geschenkt bekommenen Zeitschriftenstapel abzuarbeiten. In meinem Leben habe ich mir bisher einmal die Titanic selbst gekauft.
Vermutete Lesergruppe
Jeder, der lachen will.
Titel
„3. Kohltitel in Folge“ steht vorne. Laut Wikipedia war Kohl über 50 Male auf dem Titel verewigt. Anders als beim Vatikan, gab es aus seiner Richtung niemals rechtliche Klagen. Beim Schriftzug der Titanic fällt nur noch der abgeschmackte Begriff ikonographisch ein. Wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass der Schriftzug gerade gestellt übrigens schon über die Oberkante hinausragen würde (falls das irgendwen interessiert).
Inhalt
Die ‚Briefe an die Leser‘ haben einen unerreichten Standard. Es lohnt sich die Situation zu nutzen und zumindest einen davon zu zitieren und zwar den an die inzwischen verstorbene Hannelore Kohl, die damals in einer Gesprächssendung mit Alfred Biolek wohl ziemlich wirres Zeug gefaselt hat:
„Und wenn Sie, Hannelore Kohl, nun sagen, das sei doch garnicht möglich, daß sie Frau eines Bundeskanzlers so hirnverbrannt daherredet, dann, Hannelore Kohl, schlagen wir Ihnen vor, den letzten von uns notierten Satz der Ihnen in besagter Sendung aus dem Mund rann, hier nochmal schwarz auf weiß nachzulesen. Als nämlich eine Steigerung im Grunde genommen gar nicht mehr möglich schien, da schlugen Sie ein letztes Mal zu. So stark, daß wir noch heute wir vors Hirn gestoßen sind über den Sinn ihrer Wort, mehr noch über die revolutionäre Zusammenstellung derselben. Genau 21 Worte waren es, am Stück und ohne hörbare Satzzeichen gesprochen, die wir hier noch einmal wiederzugeben die große Freude haben. Ungekürzt lies sich das so: ‚Die Menge des privaten Lebens ist wenig aber dann ist sie doch sehr viel. Mengenmäßig wenig qualitativ und ansonsten recht happig.‘
Einen mengenmäßig happigen Behandlungsbedarf diagnostizieren Ihre Linguistenhirne von der
Titanic“
Max Goldt befürchtet außerdem in seinem Kulturtagebuch die Kommerzialisierung, Korrumpierung und Kanonisierung von Helge Schneider durch das Fernsehen. Das ist ja mittlerweile längst passiert, aber auch nicht weiter schlimm. Bei dem langanhaltenden Erfolg von Max Goldt könnte man ja fast selbst eine Korrumpierung vermuten.
Layout
Lachen braucht keine Ästhetik. Um diese Sparte, aber zu füllen gibt es hier zwei der vielen Bilderwitzchen:
Verdikt
Obwohl mir die Titanic so vertraut wie der stern vorkommt – der kam immerhin jede Woche ins Haus meiner Eltern und war so etwas wie die publizistische Frühnahrung –, fühle ich mich jedes Mal komisch orientierunglos, wenn ich zwischen den Bilderwitzen und doch recht langen Artikel herumblättere. Es ist im Grunde wahnsinnig diesen hingeschlurrten Text mit einer Kritik enden lassen zu wollen. Wo, wenn nicht in der Titanic wird denn im deutschen Zeitschriftenmarkt noch derart die Schönheit der Sprache gepflegt?